Predigt - H. Bohaboj 2019
Predigt am 3. Wallfahrtssonntag in Quinau 2019 von Heinrich Bohaboj, Chemnitz, 21. Juli 2019. Liebe Brüder und Schwestern im Herrn, liebe Wallfahrer.
Im aktuellen Jahresbericht unseres Bistums (Dresden-Meißen) heißt ein Artikel „Bedarf an Nachbarschaft“. In diesem Text wird die Situation von uns Christen in Böhmen und Sachsen beklagt. Hier in Quinau leben wir bei der Verehrung der Muttergottes eine recht gute Nachbarschaft. Freilich wäre es ideal, wenn wir Nachbarn gemeinsam feiern könnten. Aber daran hindert uns die Sprachbarriere. Umso dankbarer dürfen wir dafür sein, dass die Helfer für den Kirchenschmuck oder draußen am Kiosk, vor allem aber die Mitbrüder uns zeigen, dass wir willkommen sind. Ähnlich wird dies an vielen Wallfahrtsorten im Grenzgebiet erlebt. Ich erinnere daran: Nordböhmen war über Jahrhunderte ein Land mit einer starken marianischen Frömmigkeit. Vom Egerland bis zum Adlergebirge gibt es viele Kirchen, die der Muttergottes geweiht sind – von Maria Loreto, Maria Kulm, Maria Stock, Quinau, Maria Ratschitz, Osseg, Mariaschein, Philippsdorf, Haindorf, Oberpolitz bis zum Muttergottesberg in Gruhlich. Die Generation unserer Großeltern kannte kaum Urlaubsreisen, meist kamen sie nur bei Wallfahrten aus ihrer näheren Umgebung heraus. Heute kommen zur Wallfahrt nicht nur die einstigen Bewohner des böhmischen Grenzgebietes, Gott sei Dank auch viele Nachbarn aus Sachsen.
Wenn trotzdem ein Bedarf an guter Nachbarschaft festgestellt wird, dann könnten wir dazu doch die aktuellen Städtepartnerschaften mit unseren böhmischen Nachbarn nutzten. Solche Partnerschaften wurden nach der Vertreibung dankbar erfahren. Auch heute gibt es Partnerschaften bei vielen unserer Städte. Da sind die Möglichkeiten der Begegnung längst nicht ausgeschöpft. Wunderbar, wenn es in den Pfarrgemeinden auf beiden Seiten der Grenze Ansprechpartner unter uns Christen gibt – in der Wirtschaft, beim Welterbe oder beim Sport ist das längst geschehen.
Für das Miteinander über Grenzen hinweg wäre das gut. Denn es bleibt wichtig, darauf zu achten, in welchem Geist wir uns begegnen. Das Festgeheimnis von Quinau „Maria Heimsuchung“ gibt uns dazu eine gute Vorlage: Maria hat die Botschaft des Engels erhalten: Sie soll Mutter des Erlösers werden. Und sie erfährt auf ihre verwunderte Frage: Auch deine Verwandte Elisabeth wird in ihrem Alter noch einen Sohn bekommen. Denn bei Gott ist nichts unmöglich! Daraufhin bricht Maria auf und eilt von Nazareth hinauf in das Bergland von Judäa. Dort begegnen sich die beiden von Gott gesegneten Frauen. Dort preisen beide, erfüllt von heiligen Geist, dass der Herr Großes an ihnen getan hat.
Bei Gott ist nichts unmöglich. Er kann – wie es im Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ heißt – bewirken, dass wir mit unsrer kleinen Kraft suchen, was den Frieden schafft. Wir aber müssen dazu bereit sein, offen für das Wehen des Geistes und für den Willen Gottes – wie die beiden Frauen: Maria und Elisabeth.
Suchen, was den Frieden und ein gutes Miteinander schafft. Dazu gehören die vielen kleinen Schritte hin zu denen, die mit mir auf dem Weg sind, hin zum Nachbarn, auch hin zu denen, die anders leben und sprechen, die mir zunächst fremd vorkommen.
Liegt es an der Gottvergessenheit vieler Menschen heute, dass so oft das Trennende betont wird, und Fremdes so schnell abgelehnt oder sogar verteufelt wird? Liegt es an dem oft fehlenden Fundament eines vertrauensvollen Glaubens, dass mit Ängsten und Bedrohungen Menschen so leicht manipuliert werden können? Ich bin noch immer dankbar, dass unsere Generation vor 30 Jahren eine Wahrheit erleben durfte, die im Lobpreis der Gottesmutter, im Magnifikat, anklingt: Mächtige hat er von Thron gestürzt! Wie sehr die Mächtigen sich absichern wollten, damit sie ihre Macht behalten, das haben wir nach und nach erfahren, als ihre Macht vorbei war. Lächerlich, wenn sich heute wieder Machthaber wie kleine Götter aufspielen.
Ich bin auch dankbar, dass es bereits kurz nach der schrecklichen Erfahrung von Krieg und Vertreibung unter den Vertriebenen Menschen, Christen, gab, die klar erkannt und auch bekannt haben, dass der Ungeist von Hass und Vergeltung nicht unsere Zukunft und die Zukunft Europas bestimmen darf. „Wir dürfen die bösen Geister des Hasses, die uns die Heimat geraubt haben,
nicht über unsere Seelen triumphieren lassen. Wir wollen alles tun, damit unter uns niemand mehr – aus welchen Gründen auch immer – Verfolgung leide. So machen wir unser Leid fruchtbar für die Verständigung der Völker und für den ersehnten Frieden in der Welt.“
Auch heute bekunden Christen aus beiden Ländern: „Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, durch Begegnungen und Gespräche Vorurteile abzubauen und durch diese Begegnungen von Mensch zu Mensch die gegenseitige Annäherung zu fördern.“
Die frommen Sachsen haben vor über 500 Jahren ihre Städte unter den Schutz der Gottesmutter und deren Eltern gestellt: Marienberg, Jöh(Josef)stadt, Annaberg, St. Joachimsthal. Auch das gehört zum Welterbe Montanunion Erzgebirge! „Wir erhoffen uns mehr als nur touristische Impulse“ las ich in der Tageszeitung. Wir erhoffen uns eine gute Nachbarschaft, ein Miteinander, bei dem wir Christen – erfüllt und gestärkt vom heiligen Geist – auch heute Gott loben und danken für seine Güte und Barmherzigkeit, die Er uns in seinem Sohn erwiesen hat. Maria bleibt uns dabei Fürsprecherin und Vorbild.
Heinrich Bohaboj; Pfr.i.R.